dahlemer
verlagsanstalt

Frauke Tuttlies
Liebessequenzen
Roman


ISBN 978-3-928832-42-7
Paperback, 80 Seiten, € 16,-


»Wie habe ich meine ersten Erfahrungen mit der Liebe gemacht? Um das zu beantworten, fängt Frauke Tuttlies schon vor der Pubertät an, Erinnerungsschnipsel zu sammeln, die sich wie ein Mosaik zusammensetzen. Sie schildert ihre Herangehensweise beim Schreiben so: Ich musste beim Schreiben der Liebessequenzen an "Bilder einer Ausstellung" denken. In seinem Klavierzyklus gestaltet Mussorgsky musikalisch eine Reihe von Bildern, die immer wieder von einer kurzen Promenade unterbrochen werden. Und so ist es in meinen Liebessequenzen, die aus vielen kleinen Pixeln bestehen, eingeleitet und unterbrochen von einem Monolog – und am Ende entsteht dann eine Geschichte. Diese Geschichte wird im Laufe der Zeit übrigens immer erwachsener …«



Leseprobe …





Besprechung von Hellmuth Opitz für die Rezensionen-Welt, 03/2013:
Vom Scharfstellen der Linsen über Frauke Tuttlies – Roman: »Liebessequenzen«
Kopfüber stürzt sich Frauke Tuttlies in ihren Romananfang mit programmatischen Sätzen: »Es ist töricht anzunehmen, wir hätten die Wahl. Ich bin stattdessen davon überzeugt, dass das mit der Liebe schon immer da ist. Wir werden in sie hineingeboren, sie beginnt für uns mit dem ersten Augenaufschlag und wenn nicht im ersten Augenblick der Wahrnehmung, so doch lange vor dem Bewusstsein von der Liebe.« Derart eingestimmt, hat die Leserschaft die Liebe sozusagen als ständige Kulisse vor Augen, vielleicht aber auch nur als diffusen Hintergrund. Und schon mutet der Titel »Liebessequenzen« gar nicht mehr so technisch überlagert an, sondern bekommt einen nicht nur formalen, sondern auch inhaltlichen Sinn. Denn der Roman hat zunächst etwas von einem alten Super 8-Film. Zunächst verwackelte Erinnerungsbilder, dann stellt Frauke Tuttlies die Linse ihres subjektiven Gedächtnisses plötzlich präzise klar und es entstehen Sequenzen von intensiver Wahrnehmungsschärfe. Es sind nicht nur äußere Bilder, also Personen, Landschaften, Szenerien, sondern auch feine Studien eigener körperlicher Reaktionen und innerer Empfindungen. Im Grunde schildert die Ich-Erzählerin in einem konventionellen chronologischen Strang die verschiedenen Stadien der Liebe von Kindesbeinen an bis hin zur erwachsenen Frau. Durch die Episodenhaftigkeit der einzelnen Phasen verliert sich jedoch der Eindruck stringenten Erzählens. Während die Ich-Erzählerin erwachsener wird, bleibt die Liebe indes die klassische Achterbahn aus Illusion, Hochgefühl, Niedergeschlagenheit und Enttäuschung. Lernt man in der Liebe dazu? Oder bleibt man ewig Azubi? Gut, dass die Geschichte darauf keine Antwort gibt. Was diesen schmalen, gerade mal 80 Seiten umfassenden Roman von Frauke Tuttlies zu einer anregenden Lektüre macht, ist die Tatsache, dass es eigentlich kein Roman ist. Sondern lyrische Kurzprosa. Es sind kompakte, nur einige Zeilen umfassende Textblöcke, die sich auf den Seiten locker gruppieren, in der Mitte des Buches gibt es sogar sechs, sieben Prosagedichte, in denen sich die Schilderungen noch mehr verdichten. Wie auch in ihren anderen Büchern, liebt es die Autorin, ihre Settings und Personen in wenigen Sätzen zu skizzieren, poetische Pastiches zu entwerfen, die es in puncto Genauigkeit der Schilderung und Treffsicherheit der Charakterisierungen mit klassischer Romanprosa mühelos aufnehmen können. »Selbst in den Nächten legen wir Wert darauf, unnahbar zu bleiben. Unsere Rendezvous fangen an, sich zu ähneln. Sie bringen eine Flasche Wein mit und setzen sich in den Sessel, der in meiner Küche vor dem Fenster steht. Ich zünde eine Kerze an und hole eines von meinen Büchern, die ich für diesen Anlass ausgesucht habe. Ich lese Ihnen ausschließlich erotische Passagen vor. Irgendwann verklingt meine Stimme. Sie verweilen noch ein wenig im Sessel. Ich schweige noch ein wenig. Danach gehen wir miteinander ins Bett.« So profan, so unsentimental. Und doch steckt in dieser prosaischen Schilderung eine Menge Poesie. Es gibt nur ganz vereinzelte Stellen, an denen Frauke Tuttlies die Treffsicherheit fehlt. An einer Stelle heißt es: »Sie liegt in seinem Bett. Ihr Kopf ruht auf der Bettdecke, in seinem Schoß. Die Bettdecke, darunter sein Schoß, wird von ihren Haaren geflutet.« Hier präzisiert die Autorin unnötigerweise ihre Angaben, vermutlich, um sexuell konnotierten Missverständnissen vorzubeugen. Dabei hat Frauke Tuttlies solche erklärenden Einmischungen nicht nötig. Ihr ungewöhnlicher Roman ist der beste Beleg für die These, dass man mit prägnanten Formulierungen und poetischem Zugriff mehr Genauigkeit in der Zeichnung von Figuren und Szenen erreichen kann als mit langatmiger Entwicklungsprosa. Flüchtigkeit und Faszination sind eben doch Geschwister.

Ron Schmidt über »LIEBESSEQUENZEN«
Was könnte »die Liebe« (uns) bedeuten, hätte keiner, niemand sie unter uns je »erfahren«?
Wäre sie dann – vielleicht – eine so unerwartet verlockende Verheißung, wie sie in den großartigen »Liebessequenzen« mit unendlicher Zärtlichkeit wie zuweilen denn gewaltigem Furor zu jedem Suchenden, sich öffnenden spricht?

»Es ist töricht anzunehmen, wir hätten die Wahl. Wir … in sie hineingeboren,…sind Liebende lange vor dem Bewusstsein von der Liebe.«

Die Geschichten setzen hier bereits mit einer nahezu »WERTHER«-haften Ouvertüre starker Emotionen und Imaginationen ein! Ein »kleiner« Entwicklungsroman von doch epischem Maß-für-Maß, in dem sich höchst vergnüglich auch die Liebesromanzen denken lassen, die NICHT stattgefunden haben! – Vom »Paralleluniversum Kindheit« beginnend ist hier alles in seinem Element der Harmonien: die romantischen wie die passionierten ZuNeigungen, die Entdeckungen ihrer ur-eigenen Liebe des vom Noch-Kindlichen über die junge Frau zur ins Zukünftige Hinein-Er-Wachsenden, die unvermeidliche SCHAM, die begehrten schönen Männer aus Geschichte, aus Kult-Filmen wie »VOM WINDE VERWEHT«; nicht zuletzt die manchmal tragisch endenden Zweisamkeiten mit ihren Sprachlosigkeiten, anwidernden Abneigungen, Wut und Zorn.

Scarlett O’Hara’s schmieriger Rhett Butler oder der sanft-idealistische Südstaaten-Offizier Ashley? Bildende Kunst oder »Alltag«?

Und nun?: Liebessehnen und Klugheit weiter en gros - doch haben wir in all unserem (lustvollen) Sein tatsächlich IRGENDEINE freie (Qual der) Wahl (noch Auswahl an Qual)? – JEIN, definitiv VIELLEICHT!

»Die Liebe kennt dunklere Seiten. Sie ist ein NACHTSCHATTENGEWäCHS, durch und durch berauschend.«

Und:
»Wer ließe sich nicht gern verführen? ...Und sei es nur von einem Trugbild.«

Ja, über die Wucht der bild-sinnlichen, geistreichen Poesie Frauke Tuttlies« besteht keinerlei Zweifel, alles läuft geradezu filmisch vor meinem inneren Auge ab. Zweifel umso weniger, als selten persönliches Lesevergnügen in so hohem Maße in die »nur« davon berichtende Buch-Besprechung zum Ziele der faszinierenden Attraktion hineinzufließen vermag.

Nein, diese amourösen »Sequenzen« sind eines dieser selten vorkommenden Bücher, uns als Leser lesend, nicht umgekehrt! »Leichtigkeit des Seins«. Literatur als ein mutiger, kraftvoller Aufbruch ins Neue!

Etwas mehr als ein Viertel des Bandes machen Gedichte, Lyrisches aus – von treffsicher lakonischem Humor. Nichts Allzumenschliches an unserer (ihrer) Frau-Mann- und Mann-Frau-Gemeinsamkeit muss im Kosmos einer Verschwiegenheit untergehen!

In »VORHANG ZU« paukenschlaghafte Eifersucht, Trennung.

»… fällt der Vorhang. Das Stück ist aus, es ist vorbei. Ich höre ein fernes Publikum klatschen, wie das Meer ….«

»…PROST.

Der Liebe sollte man nicht allzu nüchtern begegnen, dafür ist sie zu romantisch…. …Liebe ist lyrisch….«


Wieviel Abstände, leere Seiten, Zeilen mag es für die jeweils nächste Geschichte brauchen?

Fühlt der Liebende Körper, die nicht sie/er selbst sind?

Auch beherrscht die Autorin das Interessanteste im Spiel von Liebes- und erotischer Lyrik meisterhaft: DAS WECHSELSPIEL VON FRAUEN- und MÄNNER-Rollen! Von liebevoller Köstlichkeit die Szenerie, in der dem Geliebten seine ihm gut zu Gesicht stehende feminine Rolle zu-erklärt wird – die Geliebte schlüpft in das heldisch-männliche Gewand des mutigen ZORRO! Verspielte Don-Quijoterien? Keineswegs.

»Deine Augen sind ungeheuer nackt. Deine Gefühle stehen Dir nicht nur ins Gesicht geschrieben. Deine ganze Verletzlichkeit. Und dieser Mut. … – Am Ende erscheint mir Dein ganzer Körper transparent. Ich erkenne in Dir eine Frau, die liebt.

Aber wenn Du eine Frau bist, die liebt, wer, um Himmels willen, wer bin dann ich?«


Eines auch ist auffällig: Die Auseinandersetzung mit der Erotik umkreist auch immer den eigenen Körper, nicht (nur) »das Objekt der Begierde«. Vielleicht mag das ein wunderbar weiblicher Zugang sein – oder »ES« muss hierfür auch erst noch eine neu-passende Sprache gefunden werden? - Diese Schriftstellerin wie forschende Leser sind ja gerade dabei!

Egal, wo jemand herkommt: Wer so die Noten seiner eigenen Klaviatur kennt, den kann dieses große Gefühls-Kino nur begeistern!

All diese köstlichen Zeilen und Verse sind ein nur zu bewundernder literarischer Hochleistungs- Parforce-Ritt, und »Leistung« erscheint in dieser Lyrik eher als ein Sich-Daneben-Benehmen im Wort … – So wie hier einmal »JEMAND« einen tief-verinnerlichten Mut zum Bekenntnis seiner intimsten Liebeswelten an den Tag legt, wird der eine oder andere von uns in Sachen »moralischen« Mutes dermaßen sich gebend charismatisch übertrumpft. Auch spottet diese Haltung jedem unzulänglichen Vergleichenwollen oder -können.

»…Die Schönheit wird ein Beben sein …« steht beim klugen Andrè Breton. »Zu lieben bedarf manchmal nur eines Wisperns …« steht hier. - Ein Beben die Schönheit. Die Liebe auch? - In unserem Innern löste sich dann dieses hochkarätige Wissen um das Lieben in innere Empfindungsfarbigkeiten der »vier Winde« und aller Erdteile auf – so stark in Berührung.

Lakonischer Witz vermischt sich immer wieder mit sinnlichen Verletzlichkeiten … Hilflosigkeit zuweilen.

»…Ich ergebe mich Deinen Umarmungen…(…Wie einen Schicksalsschlag nehme ich sie hin…)…Du dirigierst meine Hände, Du verlangst nach meinem Mund. Du buchstabierst meinen Körper …«

Eine der letzten, vielleicht zu skeptischen Fragen: Kann man tatsächlich alle sich so immer weiterdrehenden »Liebessequenzen« in den EINEN Text legen und bannen? Will das Herz in dieselbe kraftvolle Richtung gehen wie der Verstand?

Vielleicht ist im Vorfeld bereits zuviel »verraten« – so sei es denn: In der zum Schlusse dieses »Buchs der Liebe« beschriebenen Zeit geht es dann auch um eine eher rein körperliche »Affäre«, die in ihrem »naturalistischen« Davon-Erzählen zuweilen in Schmerzempfindungen mündet.

In diesem vor mir liegenden lebendig-literarisierten Spiel von AnMUT, Schmerz und Sprachlosigkeit wird sehr vieles neu erfühlt und auch ausgesprochen, selbst der sinnes- (oder kopf-?) erotische Streit beider Affäre-Habenden um Sinn und Zweck, ästhetik und die Moral von Nacktheit in der öffentlichkeit.

Liebevoller als Frauke Tuttlies mit unserer Welt in ihrem Blick kann niemand etwaigen Gefühls-Puritanern (wenn es so etwas gibt) den Wind aus den Segeln nehmen!

Auch gibt es hier keine Suche nach den sentimentalisch »Verlorenen (Ge)Zeiten« – und bei all der wundervoll zu uns sprechenden Lakonik ihres Humors, Wortwitzes an der »Oberfläche« – hier spricht aus Tiefen heraus auch eine sanft-drängende und himmels-stürmende Romantikerin, die mit ihren Geschichten immer wieder von neuem nahe-gehen kann! STEHT HIER!

Danke, »LIEBESSEQUENZEN«, – MERCI, Frauke Tuttlies, für solche (vor allem auch ästhetischen) Genüsse!

Sie führt uns Sehnsuchtsorte vor, die es geben müsste …

Und die Wege dorthin sind nun frei – DURCH LESEN!