Michael Fischer ist ein Verleger mit Leib und Seele. Das Büchermachen ist für ihn mehr als ein Beruf, es ist Berufung. Die dahlemer verlagsanstalt, wie sie heute auf ihrer gerade neu gestalteten Webseite sich vorstellt, ist sein Werk in den letzten über 25 Jahren. Ihn als Kleinverleger zu bezeichnen, wäre sicherlich sachlich korrekt, wenn es nicht so abwertend klänge. Dabei ist Michael Fischer ein Verleger, dem das Buch näher ist als das Geldverdienen damit, das an zweiter Stelle kommt. Ohne Verleger wie ihn wäre das deutsche Verlagswesen so arm, die es in den heutigen Großbuchhandlungen erscheint.
Wie Du auf Deiner Verlagswebseite vermerkst, hast Du im Jahr 1988 die dahlemer verlagsanstalt in Berlin gegründet. Was hat Dich damals veranlasst, in das schon immer sehr schwierige Verlegergeschäft einzusteigen? Welche Ziele hattest Du damals bei der Gründung vor Augen gehabt?
Ich kam aus dem Lektorat und hatte schon bald wieder, weil ich ständig Bücher hatte publizieren sollen, an die ich nicht glaubte, das Handtuch geworfen. Als ich dann im Projektmanagement der Berliner Messegesellschaft ein völlig neues Betätigungsfeld gefunden hatte – das mir ohne weiteres bis zum Schluss viel Spaß gemacht hat –, stellte ich sehr schnell fest, dass mir etwas fehlte: Mit drei Freunden gründete ich – in Dahlem, wo niemand von uns eigentlich wohnte – die dahlemer verlagsanstalt. Unser Ziel war, den Buchprojekten eine Chance zu geben, die im »normalen« Verlag keine Chance hatten.
Welche Schwerpunkte bilden sich im Verlagsprogramm ab? Welche Leserschaft möchtest Du mit Deinem Verlag ansprechen?
Ursprünglich hatte ich ausschließlich Romane und Erzählungen veröffentlichen wollen. Als dann aber nur noch eher belanglose Prosa bei mir ankam, stellte ich zunehmend fest, dass aus dem von mir stets verschmähten Bereich der Lyrik immer wieder Hervorragendes geschickt worden war …
Mit dem blinden Poeten Bernd Kebelmann verbindet Dich eine intensive und langjährige Zusammenarbeit. Du hast nicht nur sein Projekt »Tastwege« mit dem Gedichtband »Auf dem Tastweg«, erschienen 2007, sondern auch das Projekt »Lyrikbrücken« mit einem Lyrikband und fünf Hörbüchern im Jahr 2009 verlegerisch stark unterstützt. Wenn Du diese Projekte in der Rückschau betrach-test, was kann und muss ein Verleger für solch visionäre Kunstprojekte leisten?
Mut muss so ein Verleger haben. Hatte ich auch, aber sicherlich anders, als so manche/r denken mag: Ich fand den Herrn zuerst anstrengend – was ich bis heute denke, nur jetzt ganz, ganz anders –, denn er nahm einen jeden Gesprächspartner unter Totalbeschlag. Dass er das in seiner Situation tun muss, wusste, ahnte ich damals noch nicht so ganz. Immerhin hatte er sein Leben als Sehender begonnen und hatte umlernen müssen, als er mit knapp vierzig erblindete. - So, nun endlich mal positiv formuliert: Bernd Kebelmann hat mir beigebracht, die Welt ganz neu zu sehen – und dafür werde ich ihm immer dankbar sein, denn er sorgte dafür, dass ich endlich auch erklären musste, was ich meinte zu sehen. Da kommt ein geübtes Auge ganz schön ins Schwitzen, wenn es alles, was es sieht, in Worte fassen muss. Und dann – nun endlich! – seine Literatur! Da ist allgemein kein Wort zu viel! Also mal nicht dieses kluge Geschwafel! Ja und schließlich: Mit seinem Lyrikbrücken-Projekt hat er europaweit bedeutende andere Blinde um sich versammelt, denen unsere Aufmerksamkeit zusteht! Entsprechend dankbar bin ich heute Bernd Kebelmann, inzwischen ein guter Freund! Es ist doch toll, wenn ein ständig geben sollender Verleger auch mal einfach nehmen kann!
Die »Lyrikbrücken« sind die Zusammenfassung von mehreren Lesungsreihen blinder europäischer Lyrikerinnen und Lyriker, die in den Jahren 1993 bis 2006 in Deutschland und weiteren Ländern stattfanden. Die Vernetzung europäischer Poetiken war (und ist!) eine Initiative von großem Weitblick. Wenn wir die heutigen Entwicklungen auf unserem Kontinent betrachten, wäre dann eine Neuauflage oder Weiterführung dieses Projektes nicht nötiger denn je?
Aber klar doch! Und wer bezahlt's?
Wie wäre es, in diesem Fall so etwas wie Crowd Funding auszuprobieren? Müssen wir nicht bei Vorhaben solcher Art beginnen, neue Wege zu gehen?
Solch eine Frage kann nur jemand stellen, der es gewohnt ist, im Team zu arbeiten. In der dahlemer verlagsanstalt mache ich bis auf Satz und Druck nahezu alles allein. Und da auch mein Tag nur 24 Stunden hat, muss ich sehen, dass – bei einer sich auch hier immer breiter machenden Verwaltungslast – ich mich mit solch fein klingenden Dingen eben NICHT beschäftige: Es ginge zu Lasten der Qualität »meiner« Bücher!
Der Schriftsteller Hans Zengeler, den Du sehr schätzt und immer wieder verlegt hast, hat Deinen Verlag mit der Betreuung seines Gesamtwerkes beauftragt. Welche Verantwortung wächst einem Verleger aus einer solchen Aufgabe zu? Wie fühlst Du Dich heute, nach dieser ehrenvollen Herausforderung an Dich und Deinen Verlag?
Puh, das ist eher eine Frage, die man ihm (Zengeler, Amn. der Redaktion) stellen sollte! Aber mich hat es froh gemacht, dass er irgendwann feststellte, dass ich wohl der einzige Verleger gewesen bin, der ihm nicht mehr versprach, als ich meinte halten zu können. Ich hatte schon immer Probleme damit, dass »meine« Branche mit so vielen Blendern durchsetzt ist!
Wenn Du die nunmehr 28 Jahre seit Gründung Revue passieren lässt, was waren die herausragenden Ergebnisse und Ereignisse? Wenn Du Dir die ursprünglichen Überlegungen zur Entwicklung Deines Verlags anschaust, wo gibt es die stärksten Abweichungen und worin liegen die Gründe dafür?
Ursprünglich hatte ich ja nur wieder Bücher machen wollen, weil mir – nachdem ich wegen allgemeiner Belanglosigkeit das Handtuch geworfen hatte. »Meine« Autoren hatten mir deshalb aber so schwere Vorwürfe gemacht, dass ich darüber noch einmal nachgedacht habe. Ja, auch ich habe die schnell vermisst! Und als ich merkte, dass mir der – eigentlich wirklich spannende – Job im Messemanagement den Kopf auszutrocknen drohte, habe ich mit Freunden die dahlemer verlagsanstalt gegründet. Und als ich schließlich feststellte, dass keiner von ihnen so aufdrehen wollte oder konnte, hab ich allein weiter gemacht …
Wie willst Du Deinen Verlag angesichts der gravierenden Änderungen im Umfeld des Verlagsgeschäfts durch Versandhandel, eBook, Vermachtung der Märkte in Verlagswesen und Buchhandel auf mittlere Sicht positionieren? Wie kann ein kleinerer Verlag bei solchen Gegebenheiten den Absatz organisieren und die Kosten zurückverdienen? Könnten verlegerische und andere Kooperationen eine Lösung versprechen?
Ach, irgendwie glaube ich nicht an all diese Schreckgespenster, die uns ständig umgaukeln sollen! Natürlich ist es alles andere als einfach, sich durch all die Anfeindungen zu schlängeln. Aber letztlich sehe ich als einzigen wirklichen »Feind« diese unendliche Sucht nach bürokratischer Überfrachtung. Gäbe es diese Bürokratie nicht, hätte ich weit mehr Power, neue Projekte anzugehen, wagemutiger zu sein. Nein, es ist nicht allein das Unverständnis von Finanzämtern, das uns Kleinstverlegern das Leben schwer macht!
Wenn Du die weiteren Ärgernisse Dir durch den Kopf gehen lässt, welche beiden sind die schlimmsten?
Da denke ich beispielsweise an den Börsenverein und das VLB (Verzeichnis lieferbarer Bücher). Beide, so habe ich das im Hinterkopf, sind dafür gegründet worden, auch Verlegern – neben dem Buchhandel beispielsweise – ein Forum und eine Interessenvertretung zu geben. Früher gab es, wenn man an die Pflichtabgabestellen (Leipzig und Berlin mit zusammen drei Büchern) nicht schnell genug ausgeschickt hatte, ein Erinnerungsschreiben. Heute erhält man recht schnell die Androhung, den Gerichtsvollzieher erwarten zu müssen. – Die Einträge ins VLB sind sinnvoll, doch halte ich es für hanebüchen, dass ich inzwischen nahezu alles selbst einstellen muss in ein System, wo ich nur schwer durchblicke – und dann, wenn ich das entsprechend stümperhaft geschafft habe, zur Belohnung in einen Kundenstatus rutsche, der diese Einträge wirklich teuer macht. Will sagen: Nur der akribisch einstellende Verlag kann damit rechnen, nicht abgezockt zu werden. Das aber bedeutet viel Zeit für Dinge, die mich vom eigentlichen Verlegen abziehen. Und zu allem Überfluss soll es dann noch so sein, dass ich jeden Eintrag ins VLB alle Vierteljahr wieder abfassen soll, um den Platin-Status mir zu erhalten. Da stößt ein Einmann-Verlag an seine Grenzen!
zugetextet.com arbeitet mit Deinem Verlag partnerschaftlich zusammen. So erscheint in Deinem Verlag die Reihe »zugetextet.com Lyrik«. Welche Bedeutung hat dieses Projekt für Deinen Verlag? Wie siehst Du die Kooperation mit Magazin und Blog zugetextet.com? Gibt es Anregungen, was wir gemeinsam machen könnten?
Na, um ehrlich zu sein: Das ist Neuland für mich, an das ich noch nicht so ganz glaube. Aber muss ich deshalb ablehnend reagieren?
Lieber Michael, ganz lieben Dank für Deine Zeit und das Interview, das wir mit Dir führen durften. Wir hoffen, dass Du eine gute Leipziger Messe hattest. Und natürlich hoffen wir, weitere Buchprojekte mit Deinem Verlag machen zu können. Für Deine wichtige Arbeit wünschen wir dem Verlag und Dir viel Erfolg sowie Deinen Büchern viele Leser!
Profil von Michael Fischer.
Statt eines Profils lassen wir den Verleger Michael Fischer einfach aus dem vergangenen Jahr erzählen, und zwar im Orginalton:
»2015 war das Jahr, in dem ich nicht nur die üblichen zwei, sondern gleich 10 Titel veröffentlicht habe. In diesem Jahr will ich mich wieder deutlich bescheidener geben, was voraussichtlich auf vier Titel hinausläuft. Darunter aber sind Projekte, an denen ich schon seit Jahren sitze: Ein Shakespeare-Krimi in zwei Teilen. Der erste davon soll zur Leipziger Buchmesse, also im März vorliegen: Viktor Nono »Shakespeare - muss weg!«. Dann gibt es endlich, endlich ein Leporello mit Texten von Mike O'Brien zu wundervollen Bildern von Heinrich Kley. Da hatten wir schon vor zwei Jahren versucht, die Rechte an den Bildern zu bekommen, nur erhielten wir, egal, wo wir fragten, keine Antwort. Nun ist der Herr, übrigens eines der großen Vorbilder für Walt Disney, mehr als siebzig Jahre tot. Und nun können wir!
Und schließlich schreibt Hans Zengeler, »für den« ich einst die dahlemer verlagsanstalt gegründet hatte, an einem neuen Bloch-Titel: »Noch ein wenig Zeit«. Und der kommt – wirklich neu! - bei mir raus!
Schließlich gab es Anfragen und Projekte aus dem Umfeld des P.E.N. – da bin auch ich gespannt ...«